Konstitutiv für den „RU für alle“ sind folgende fünf didaktische Grundsätze
Schüler- und Lebensweltorientierung
Die Inhalte und Themen des Religionsunterrichts sind in Orientierung an lebensweltlichen Erfahrungen und Problemen der Schülerinnen und Schüler auszuwählen bzw. auf sie zu beziehen.
Der Unterricht wird so gestaltet, dass die Schülerinnen und Schüler ermutigt werden, ihre eigene Perspektive einzubringen und individuelle Lernwege einzuschlagen. Unterschiedliche Lernvoraussetzungen und -möglichkeiten sowie entwicklungs- psychologische und lerntheoretische Einsichten sowie geschlechtsspezifische Zugänge und Lernweisen sind zu berücksichtigen.
Die kulturelle und religiöse Identität und Integrität der Schülerinnen und Schüler ist im Religionsunterricht zu schützen und zu fördern. Dabei muss auf religiöse und weltanschauliche Minderheiten – auch innerhalb einer Religion – sensibel geachtet werden.
Die innere Vielfalt und die Vielzahl der Religionsgemeinschaften in Hamburg spiegeln sich sehr unterschiedlich in der Zusammensetzung der Lerngruppen und im regionalen Umfeld der Schulen. Auch die Perspektive der Schülerinnen und Schüler aus in Hamburg kleineren Religionsgemeinschaften (z. B. Alevitentum, Hinduismus, Buddhismus, Bahá`í, kleinere christliche Gemeinschaften) müssen bei didaktischen Entscheidungen bedacht werden. Es ist zu prüfen, ob und wie deren Traditionen, Überzeugungen und religiöse Praktiken im Unterricht Berücksichtigung finden können.
Es liegt in der didaktischen Verantwortung der Lehrerinnen und Lehrer zu entscheiden,
Traditionsorientierung
Der Religionsunterricht macht die Schülerinnen und Schüler mit wesentlichen Inhalten des Christentums, des Protestantismus, des Katholizismus und der Orthodoxie, aber auch des Judentums, des Islams und des Buddhismus sowie ggf. auch anderer Religionen in ihrer inneren Differenziertheit bekannt. Dabei müssen die Traditionen der Religionen und Weltanschauungen in einen wechselseitigen Erschließungszusammenhang mit den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler gebracht werden. In der exemplarischen Beschäftigung mit Elementen religiöser und weltanschaulicher Traditionen sind die in ihnen enthaltenen Angebote existenzieller Selbstvergewisserung und Möglichkeiten ethischer Orientierung zu erschließen sowie auf die damit verbundene Sprachfähigkeit zu achten. Ein besonderer Stellenwert kommt der theologischen Begründung der Menschenwürde zu. Bei der Auswahl der religiösen Traditionen ist zu berücksichtigen, dass im Kontext der europäischen Geschichte und Kultur ebenso wie im Blick auf die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit auch bei didaktisch angemessener Wahrnehmung religiöser und weltanschaulicher Vielfalt der Begegnung und Auseinandersetzung mit christlichen Überlieferungen und Glaubensäußerungen besondere Bedeutung zukommt.
Dialogorientierung
Die didaktische Grundform des Religionsunterrichts ist der offene Dialog, in dem Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer ihre religiösen bzw. weltanschaulichen Fragen und Überzeugungen zur Sprache bringen und reflektieren. Pluralität von Positionen wird geachtet; die Lehrerinnen und Lehrer sind verpflichtet, ihre eigene Position ohne Dominanz und pädagogisch verantwortet einzubringen und gerade so die Schülerinnen und Schüler mit ihren jeweiligen Selbstverständnissen und Überzeugungen ernst zu nehmen und zu schützen.
Der Dialog und die Auseinandersetzung über Verbindlichkeit und Begründung von Überzeugungen müssen an Regeln des rationalen, auf Verständigung gerichteten Diskurses orientiert sein. Dazu bedarf es als Bedingung der Entfaltungsmöglichkeiten jedes und jeder Einzelnen einer Atmosphäre in Unterricht und Schulleben, die von Fairness, Toleranz, Anerkennung, Wertschätzung und Vertrauen geprägt ist. Die Grenzen der Akzeptanz von Auffassungen werden durch die universale Geltung der Menschenrechte und die fundamentalen Regeln der Demokratie gezogen.
Authentizität
Im Religionsunterricht werden religiöse und weltanschauliche Traditionen entsprechend ihrem Selbstverständnis und in ihrer Bedeutsamkeit für die Schülerinnen und Schüler thematisiert – also nicht in der Perspektive einer neutralen Religionskunde, sondern von der Innensicht der Religionen herkommend. Unterschiede von Konfessionen und Religionen dürfen nicht verwischt oder harmonisiert werden; Eigentümliches und Besonderes soll sichtbar und Fremdes mit Eigenem ins Gespräch gebracht werden. Originale Begegnungen, Erkundungen vor Ort, Gespräche mit Mitgliedern der Religionsgemeinschaften sowie authentische Medien, Materialien und Texte fördern eine theologisch angemessene Auseinandersetzung und wirken unaufgeklärten Vorurteilen sowie distanzierter Beliebigkeit entgegen.
Wissenschaftsorientierung
Der Religionsunterricht muss im Blick auf seine Intentionen verantwortet werden gegenüber Einsichten und Ergebnissen einer ökumenisch und interreligiös ausgerichteten Theologie, der Religionspädagogik, aber auch der Religionswissenschaft sowie benachbarter Geistes- und Sozialwissenschaften.
Dies gilt in der Sekundarstufe I zunehmend mehr auch hinsichtlich der unterrichtlichen Bearbeitung von Texten, Symbolen und Bildern der religiösen Traditionen, bei der entsprechend der methodischen Vielfalt in den theologischen Disziplinen sowohl sprachlich- exegetische, historisch-kritische, meditative, symbol-erschließende, dramatische, gestalterische als auch spielerische Methoden herangezogen werden. Deren ansatzweise selbstständige und angemessene Nutzung durch die Schülerinnen und Schüler ist im Interesse ihrer Methodenkompetenz zu fördern.
aus Bildungsplan Religion, Hamburg 2011, S 16f.